Der Verzicht des Landesfiskus auf Grundeigentum

Die Stadt Hamburg (zugleich Gemeinde und Landesfiskus) kann wirksam auf Grundstückseigentum verzichten. Rechtliche Beschränkungen wie etwa in Bayern gibt es in Hamburg nicht. Durch den Verzicht verliert die Stadt nicht ihr als Landesfiskus zustehendes Aneignungsrecht. Das Aneignungsrecht ist vielmehr ein gegenüber dem Eigentumsrecht eigenständiges Recht mit einem eigenständigen Rechtsinhalt. Die Umgehung von öffentlich-rechtlichen Eigentümerpflichten ist nicht ersichtlich, da die Stadt eine Doppelfunktion als Gemeinde und Landesfiskus hat. Eine Aneignung durch einen Dritten kann daher auch in Fällen, in denen die Stadt auf das Eigentum verzichtet hat, nur eingetragen werden, wenn die Stadt als Landesfiskus auf ihr Aneignungsrecht verzichtet.

AG Hamburg-Harburg, Beschluss vom 16.08.2024, HR-16029-6, bestätigt durch OLG Hamburg, Beschluss vom 16.10.2024, 13 W 40/24

Aus den Gründen des AG:

„Der Antragsteller, vertreten durch Notar XX nach § 15 GBO, hat beantragt, ihn als aneignenden Eigentümer des im Grundbuch von XX Blatt XXXX eingetragenen Grundstücks einzutragen.

Als Eigentümerin des Grundstücks, bestehend aus den damaligen Flurstücken XXXX und XXXX (heute Flurstück XXXX) war zunächst die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) eingetragen. Mit Erklärung vom XX.XX.1993, klargestellt mit Schreiben vom XX.XX.1993, hat die FHH das Eigentum aufgegeben. Zugleich wurde aber ausdrücklich erklärt, dass die FHH damit jedoch nicht auf das ihr zustehende Aneignungsrecht nach § 928 Absatz 2 BGB verzichtet.

Das Grundbuchamt hat die Eintragung mit Schreiben vom XX.XX.2023 davon abhängig gemacht, dass der Verzicht des Landesfiskus auf das Aneignungsrecht nach § 928 Absatz 2 BGB in der Form des § 29 GBO nachgewiesen wird. Das damals zuständige Liegenschaftsamt des Bezirksamtes XX habe mit Aufgabeerklärung vom XX.XX.1993 ausdrücklich erklärt, dass auf das Aneignungsrecht nach § 928 Absatz 2 BGB nicht verzichtet werde.

Der Antragsteller hat hierzu mit XX.XX.2024 Stellung genommen und insbesondere darauf verwiesen, dass nach seiner rechtlichen Einschätzung ein das Eigentum aufgebender Eigentümer, der zu-gleich auch personenidentisch mit dem Landesfiskus ist, mit seiner Eigentumsaufgabe das Recht auf spätere Aneignung verliere.

Laut Grundakte und Darstellung der FHH war ein Kunstprojekt „XX“ Hintergrund der Eigentumsaufgabe.

Das Gericht hat der FHH -XX- mit Schreiben vom XX.XX.2024 rechtliches Gehör gewährt.

Die FHH hat mit Schreiben vom XX.XX.2024 Stellung genommen. Die FHH habe nicht wirksam auf ihr Aneignungsrecht verzichtet und plane dies auch nicht. Der Antrag sei zurückzuweisen. Aufgrund des ausdrücklichen Nichtverzichts auf das Aneignungsrecht komme ein inzidenter Verzicht auf das Aneignungsrecht nicht in Betracht. Diese Eigentumsaufgabe sei als Kunstprojekt ein Einzelfall gewesen.

Zudem seien das Recht des Eigentümers auf Verzicht nach § 928 BGB und das Recht des Landesfiskus auf Aneignung rechtlich selbständige Rechte, die nebeneinander bestünden. Abgesehen davon verkenne der Antragsteller, dass es sich bei der FHH um eine Einheitsgemeinde handele, so dass es schon deshalb nicht zu den von ihm geltend gemachten Umgehungstatbeständen kommen könne.

Der Antragsteller hat nochmals mit Schreiben vom XX.XX.2024 Stellung genommen und seinen Vortrag vertieft und wiederholt.

Das mit der formlosen Zwischenverfügung vom XX.XX.2023 aufgezeigte Eintragungshindernis wurde bislang nicht beseitigt.

Das Gericht ist der Auffassung, dass der Eintragungsantrag wegen des nicht nachgewiesenen Verzichts auf das Aneignungsrecht abzulehnen ist.

Bei der vorliegenden Sachlage ist von einer förmlichen Zwischenverfügung mit Fristsetzung zur Behebung des Eintragungsmangels schon deshalb abzusehen, weil der Antragsteller kundgetan hat, dass er zu einer Behebung nicht gewillt ist und zudem die FHH kundgetan hat, dass ein Verzicht auf das Aneignungsrecht nicht erklärt werden wird.

Ein inzidenter Verzicht auf das Aneignungsrecht kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die FHH ausdrücklich nicht auf das Aneignungsrecht verzichtet hat. Aus der Formulierung der Verzichtserklärung(en) ist dies unzweifelhaft ersichtlich.

Es ist auch kein Rechtsgrund dafür ersichtlich, dass der gleichzeitige Nichtverzicht auf das Aneignungsrecht unwirksam ist. Die FHH ist durch ihren eigenen Eigentumsverzicht nicht gehindert, Berechtigte des Aneignungsrechts nach § 928 Absatz 2 BGB zu sein.

Unbestritten ist das Eigentumsrecht ein starkes und im Grundgesetz verankertes Recht. Es überlagert das Aneignungsrecht aber nicht derart, dass dieses mit dem Eigentumsverzicht durch den Fiskus mit untergeht bzw. überhaupt erst nicht entsteht.

Das Aneignungsrecht ist ein dingliches Recht eigener Art, welches bei Schadensersatzansprüchen durch § 823 Absatz 1 BGB geschützt wird (s. BeckOK BGB/Grün, BGB § 928 Rn. 9). Es wird durch die Aufgabe des Eigentums durch den Landesfiskus nicht obsolet. Der Gesetzgeber hat sich -anders als etwa beim Fiskuserbrecht- dafür entschieden, dass das Eigentum nicht automatisch auf den Landesfiskus übergeht, sondern diesem nur ein Aneignungsrecht zugestanden (BGH, Urteil vom 07.07.1989, V ZR 76/88). Solange der Fiskus dieses Recht nicht ausübt, bleibt das Grundstück herrenlos. Das Aneignungsrecht bleibt vom Rechtsinhalt hinter dem Eigentumsrecht zurück, steht mit diesem aber nicht in einem Rangverhältnis. Vielmehr folgt es dem durch Aufgabe des Eigentums nicht mehr bestehenden Eigentumsrecht zeitlich und automatisch als eigenständiges Recht nach.

Grundsätzlich kann ein Eigentümer auch dann wirksam verzichten, wenn er sich damit (mißbräuchlich) nur den öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen entziehen will (so BayObLG, Beschluss vom 12.04.1983, BReg. 2 Z 21/83). Um eine Umgehung von öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen ging es vorliegend aber ohnehin nicht. Der Eigentumsverzicht hatte seinen Grund in einen Kunstprojekt, welches die FHH -Bezirksamt XXX- unterstützen wollte.

Abgesehen davon sind die vom Antragsteller angeführten Umgehungstatbestände schon deshalb nicht einschlägig, weil es sich bei der FHH um eine Einheitsgemeinde handelt, also Kommune und Bundesland in einem Rechtsträger vereint. Nach außen stellt sich die FHH als ein Rechtsträger dar, selbst wenn die verschiedenen Stellen der FHH unterschiedliche Zuständigkeitsbereiche und Kompetenzen haben.

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die FHH mit dem Verzicht zu verstehen gegeben hat, keinerlei Interesse mehr an dem Grundstück zu haben. In einer Konstellation wie der vorliegenden wird man eher das Ansinnen einer vorübergehenden Eigentumsaufgabe bis zum Abschluss des Kunstprojektes annehmen können, auch wenn das Grundstück trotz des erheblichen Zeitablaufes immer noch herrenlos ist. Vor diesem Hintergrund einer nur vorübergehenden Zurverfügungstellung fügt sich auch der erklärte Nichtverzicht auf das Aneignungsrecht nahtlos ein. Vorsorglich ist anzumerken, dass der Fiskus sein Aneignungsrecht auch über längere Zeit ruhen lassen kann (BGH, Urteil vom 07.07.1989, V ZR 76/88).

Literatur und Rechtsprechung zur Frage des Eigentumsverzichts durch den Landesfiskus selbst konnte das Gericht kaum finden. Nach Staudinger/Diehn (2020) BGB § 928, Rn. 19 ist das Recht des Landesfiskus zur Aufgabe des Eigentums an seinem eigenen Grundstück, an dem er selbst das Aneignungsrecht des § 928 Abs 2 BGB erhalten würde, ebenso umstritten, wie die Zulässigkeit des Verzichts auf sein Aneignungsrecht, müsse aber (entgegen der hM) verneint werden. Belege hierzu finden sich dort nicht.

In Flächenländern dürfte die vorliegende Problematik hauptsächlich (nur) dann zum Tragen kommen, wenn der Landesfiskus als Fiskuserbe auf geerbtes Eigentum verzichtet.

In der genannten Entscheidung des BayObLG ging es um den Eigentumsverzicht einer bayerischen Gemeinde. Das Gericht hat den Eigentumsverzicht für nichtig erklärt (§ 134 BGB), da eine „Vergabung“ (= Verschenkung oder freiwillige Vermögensübertragung ohne entsprechende Gegenleistung) von Gemeindevermögen nach Art. 12 der Bayerischen Verfassung in Verbindung mit Art. 75 Absatz 3 Gemeindeordnung unzulässig ist. Eine vergleichbare Regelung, die vom Grundbuchamt zu beachten und im vorliegenden Fall einschlägig ist, ist für Hamburg nicht bekannt.

Wäre der Eigentumsverzicht als solcher und/oder der gleichzeitige Nichtverzicht auf das Aneignungsrecht damals nicht zulässig gewesen, hätte dem Antrag auf Eintragung des Verzichts nicht stattgegeben werden dürfen. Dann wäre die FHH weiter Eigentümerin des Grundstücks und der Antragsteller hätte auch dann keine Möglichkeit, sich das Grundstück jetzt anzueignen.

Für ein weiter bestehendes Aneignungsrecht des Landesfiskus spricht zudem, dass damit der Landesfiskus ein legitimes und vom Eigentumsrecht losgelöstes Interesse verfolgen kann. Er kann in Fällen wie dem vorliegenden nur für ein bestimmtes Projekt sein Eigentum aufgeben und hat hin-sichtlich des Eigentums trotzdem die Hand auf dem Grundstück. Er hat mindestens Einfluss darauf, ob ein Aneignungswilliger sich das Eigentum aneignen darf oder nicht. Jedenfalls kann er ihm ggf. nicht genehme Aneignungswillige als Eigentümer verhindern. Weiter wäre es möglich, dass er sein Aneignungsrecht an einen Aneignungswilligen abtritt, was nach ganz herrschender Meinung zulässig ist. Erfolgt dies gegen Entgelt wird § 63 Absatz 3 Landeshaushaltsordnung (LHO) entsprochen, wonach Vermögensgegenstände grundsätzlich nur zu ihrem vollen Wert veräußert werden dürfen.
So würde dann letztlich auch kein finanzieller Schaden für die FHH entstehen. Schließlich bleibt es ihm unbenommen, durch Aneignung wieder selbst Eigentümer des Grundstücks zu werden.“

Gründe des HansOLG:

„Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Grundbuchamt hat den Antrag auf Eintragung des Antragstellers als Eigentümer infolge Aneignung zu Recht und mit zutreffender Begründung, welcher das Beschwerdegericht folgt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, zurückgewiesen.

Mit der Beschwerde werden keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten. Die Beschwerde erschöpft sich vielmehr in einer Wiederholung der bereits gegenüber dem Grundbuchamt vorgebrachten Argumente, mit welchen sich bereits das Grundbuchamt im angefochtenen Beschluss ausführlich und in jeder Hinsicht zutreffend auseinandergesetzt hat.“