Lebenserfahrung spricht nicht gegen anwaltliche Sonntagsarbeit

BGH, Urteil vom 18. 1. 2006 – VIII ZR 114/ 05, NJW 2006, 1206-1208

In dieser Entscheidung hat der BGH zu den Anforderungen an den Gegenbeweis der Richtigkeit der im Empfangsbekenntnis beurkundeten Tatsachen Stellung bezogen.

Das Empfangsbekenntnis des Anwalts für ein erstinstanzliches Urteil trug das Datum „06.08.2004“. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die eingelegte Berufung verspätet eingegangen sei, machte der Anwalt die Unrichtigkeit des im EB genannten Datums geltend: Am 06./07.08.2004 sei er gar nicht im Büro gewesen. Deshalb habe er die eingehende Post erst am 08.08.2004, einem Sonntag, sichten und das zugestellte Urteil zur Kenntnis nehmen können. Er habe seiner Mitarbeiterin die Anweisung diktiert, das EB mit dem Datum 08.08.2008 versehen zur Unterschrift vorzubereiten. Die Mitarbeiterin habe dann den 08.08.2004 im Postbuch und auf der Urteilsausfertigung vermerkt. Auf das EB habe sie leider durch ein Versehen den 06.08.2004 notiert. Der Anwalt und seine Mitarbeiterin wurden vom Berufungsgericht vernommen.

Der BGH stellt nach dem obligatorischen Hinweis auf den erforderlichen Empfangswillen des Anwaltes klar, dass an den Gegenbeweis des Zustelldatums strenge Anforderungen zu stellen sind. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Führung des Gegenbeweises verneint hatte, konnte den BGH nicht überzeugen. Er verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück.

In den Gründen findet sich der schöne Passus:

„Die Ansicht des Berufungsgerichts, es widerspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein Rechtsanwalt sich an einem Sonntag in seine Kanzlei begebe und dort die an den Vortagen eingegangene Post studiere, ist nicht nachvollziehbar. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass gerade selbständig tätige Rechtsanwälte oftmals Sonntage nutzen, um zuvor liegen gebliebene Arbeiten zu erledigen. Dies gilt im besonderen Maße für Wochenenden kurz vor einem anstehenden Urlaub – wie im vorliegenden Fall – oder vor besonderen Feiertagen, wie etwa Weihnachten oder Ostern. Wie die Revision zutreffend ausführt, liegt der Auffassung des Berufungsgerichts ersichtlich ein unzutreffendes Bild anwaltlicher Tätigkeit zugrunde.“

Der Erledigungsvermerks des Erstgerichts vom 29.07.2004, wonach an diesem Tag beiden Parteivertretern eine Urteilsausfertigung ins Gerichtsfach gelegt worden sei, spreche nicht gegen die Aussage des Anwalts. Denn die Einlegung ins Gerichtsfach sei für den Zustellzeitpunkt im Sinne von § 174 ZPO völlig irrelevant.

Die Zustellung an die Gegenseite sei auch erst am 13.08.2004 erfolgt, obwohl auch der Gegenseite das Urteil am 29.07.2004 eine Urteilsausfertigung ins Gerichtsfach gelegt worden sei.