Ermittlungs- und Aufklärungspflicht bei Altlasten

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. 7. 2010 – 12 U 245/09 = NJW-Spezial 2010, 705

Der Verkehrswert eines Grundstücks wird durch unterschiedliche Faktoren bestimmt. Über diese muss das Versteigerungsgericht im Rahmen der ihm obliegenden Amtspflichten aufklären. Hierzu gehören auch Altlasten.

Dem Ersteher steht ein Anspruch aus § BGB § 839 BGB i.V. mit Art. GG Artikel 34 GG zu, da der Rechtspfleger im Versteigerungsverfahren ihm obliegende Amtspflichten, die drittschützende Wirkung haben, verletzt hat, indem er jeden Hinweis auf eine Kontaminierung des Grundstücks unterlassen hat. Diese Unterlassung ist kausal für den Schadenseintritt: Denn kontaminierte Grundstücke haben wegen der damit verbundenen Gefahren und Kosten keinen oder nur einen geringen Wert. Sie finden zudem kaum Bietinteressenten. Der Rechtspfleger muss folglich im Versteigerungstermin aktiv über die Belastung des Grundstücks aufklären; auf das Gutachten zu verweisen oder zu hoffen, dass dieses gelesen wurde, genügt nicht. Denn der maßgebliche Verkehrswert ist nach § 74a ZVG letztlich durch das Gericht festzustellen.

„Der Amtsträger hat die Pflicht zu gesetzmäßigem Verhalten, d.h. er hat die ihm übertragenen Aufgaben und Befugnisse im Einklang mit dem objektiven Recht wahrzunehmen (BGH, NJW 1992, 3229). Wenn dem Vollstreckungsgericht bekannt ist, dass Altlasten oder schädliche Bodenveränderungen vorhanden sind oder sein müssen, so hat es die erforderliche Sachaufklärung vorzunehmen (Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 19. Auflage 2009, § 66, 6.2.). Es darf erforderliche Feststellungen nicht allein dem mit der Wertfeststellung beauftragten Sachverständigen überlassen. Feststellung der Tatsachengrundlage ist im zivilgerichtlichen Verfahren Aufgabe des Gerichts selbst (ebda). Hinsichtlich der Ermittlung des Verkehrswerts gem. § 74a Abs. 5 ZVG gilt, dass diese auf eine sachgerechte Bewertung des Grundstücks ausgerichtet sein muss und das Vollstreckungsgericht daher verpflichtet ist, alle den Grundstückswert beeinflussenden Umstände tatsächlicher und rechtlicher Natur sorgfältig zu ermitteln und bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen (BGH, NJW-RR 2006, 1389). Bestehen ernst zu nehmende Anhaltspunkte, dass der Boden eines verunreinigten Grundstücks verunreinigt sein könnte, ist das Gericht deshalb grundsätzlich gehalten, mit sachverständiger Hilfe zu ermitteln, ob eine Kontaminierung vorliegt und wie schwerwiegend diese gegebenenfalls ist. Es muss Verdachtsmomenten nachgehen und alle zumutbaren Erkenntnisquellen über eine etwaige Verunreinigung nutzen (ebda). Dabei gilt, dass bei bestimmten Nutzungen wie bei der Nutzung als Kfz-Reparaturwerkstatt der Altlastenverdacht dem Grundstück gewissermaßen „auf die Stirn geschrieben steht“ (ebda.).

„Diese Pflichten sind drittschützend für den Erwerber. Der Ersteher darf, selbst wenn ihm keine Mängelgewährleistungsansprüche zustehen, in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen, dass das Gericht bei der Festsetzung des Grundstückswerts, die die Grundlage für die Höhe des Gebots bildet, mit der erforderlichen Sorgfalt verfahren ist. Dementsprechend werden in den Schutzbereich der bei der Zwangsversteigerung eines Grundstücks bestehenden Amtspflichten neben den nach § 9 ZVG am Verfahren förmlich Beteiligten auch die Bieter und insbesondere der Meistbietende einbezogen (BGH, NVwZ-RR 2003, 401). In diesem Sinne ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass die Amtspflicht des Versteigerungsgerichts zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften im Zwangsversteigerungsverfahren auch den Meistbietenden schützt; dieser ist mithin „Dritter“ im Sinne des § 839 Abs. 1 S. 1 BGB (ebda).“

Diese Pflichten seien im vorliegenden Fall verletzt worden. Der zuständige Rechtspfleger sei dem Altlastenverdacht aus eines Schreiben des Umweltamtes des Landratsamtes in keiner Weise nachgegangen. Er habe sich weder bemüht, das in einem Schreiben der Gläubigerin ausdrücklich erwähnte Gutachten über eine Gefahrverdachtsermittlung aus dem Jahr 1998 zu besorgen, noch habe er eigene Aufklärungsmaßnahmen eingeleitet. Gerade weil schon wesentliche Gutachtensergebnisse vorgelegen hätten, sei auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass diese Sachaufklärung zu teuer gekommen wäre, zumal in der Regel auf weitere Ermittlungen zur Bodenbeschaffenheit nicht unter Hinweis auf hohe Sachverständigenkosten verzichtet werden dürfe (ebda.). Auch bei der Wertermittlung habe sich das Amtsgericht damit begnügt, dass ein Verkehrswert unter völliger Ausklammerung der Altlastenproblematik erstellt wurde. Damit sei weder ein ordnungsgemäßes Verfahren nach § 66 ZVG noch eine ordnungsgemäße Wertermittlung nach § 74a Abs. 5 ZVG durchgeführt worden.