BVerfG, Beschluss vom 25.2.2014 – 2 BvR 2457/13 (NJW 2014, 2266)
Aus den Gründen:
aa) Das Landgericht ist seiner Pflicht, den Sachverhalt aufzuklären und die Interessen der Beteiligten sorgfältig zu ermitteln, nicht in dem gebotenen Umfang nachgekommen.
(1) Der Tatrichter hat festzustellen, ob aufgrund einer Maßnahme der Zwangsvollstreckung ernsthaft mit einem Suizid des Schuldners zu rechnen ist. Die damit einhergehende Prognoseentscheidung hat er mit Tatsachen zu untermauern (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2012 – V ZB 80/12 -, juris, Rn. 11; BGH, Beschlüsse vom 7. Oktober 2010 – V ZB 82/10 -, juris, Rn. 23 und vom 30. September 2010 – V ZB 199/09 -, juris, Rn. 7 und 11).
Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Zu Recht rügt die Verfassungsbeschwerde, dass das Landgericht die Stellungnahme der Parteigutachterin vom 10. Juli 2013 als Relativierung ihrer bisherigen Einschätzung betrachtet. Es gibt angesichts des Umstands, dass die Parteigutachterin es weiterhin für unbedingt geboten hält, der Beschwerdeführerin das Haus zu erhalten, keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung durch die Beschwerdeführerin – auch vor und nach dem eigentlichen Räumungsgeschehen – geringer bewertet als zuvor. Das Landgericht hätte diese Annahme seiner Abwägungsentscheidung ohne weitere Aufklärung nicht zugrunde legen dürfen. Im Übrigen vermag allein die Wiedergabe der von den Gutachtern verwendeten Begriffe „latente Selbstmordgefahr“ und „zusätzliches Risiko eines Bilanzselbstmordes“ eine konkrete Lebensgefahr weder zu belegen noch zu widerlegen. Welche Folgerungen das Landgericht aus den Angaben der Gutachterin für die hier erhebliche Frage der ernsthaften Gefahr einer Selbsttötung zieht, wird aus seiner Begründung nicht ausreichend deutlich. Eine mit Tatsachen untermauerte Prognoseentscheidung trifft das Landgericht nicht.
(2) Das Landgericht hat auch keine umfassenden Feststellungen zu der konkreten Situation und Interessenlage des Gläubigers und seiner Familie getroffen. Das drängte sich indes auf, nachdem der Gläubiger eine Gefahr für die Gesundheit seiner Angehörigen und die Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz geltend gemacht hatte.
bb) Danach fehlt es für die vom Landgericht vorgenommene Abwägung des Grundrechts der Beschwerdeführerin auf Schutz ihres Lebens gegen das ebenfalls grundrechtlich geschützte Vollstreckungsinteresse des Gläubigers an einer tragfähigen Grundlage.
Angesichts der bisherigen Verfahrensdauer und im Hinblick auf die durch das Verfahren verursachten schwerwiegenden – nicht nur finanziellen – Belastungen des Gläubigers und seiner Angehörigen wird das weitere Verfahren mit der größtmöglichen Beschleunigung zu führen sein. Eine erneute Zurückverweisung an das Amtsgericht (§ 572 Abs. 3 ZPO) dürfte daher nicht in Betracht kommen. Es dürfte vielmehr naheliegen, dass das Landgericht selbst eine mündliche Verhandlung durchführt, um zum einen durch gleichzeitige Anhörung der beiden Sachverständigen – möglicherweise unter Hinzuziehung auch des aktuell behandelnden Arztes oder Psychotherapeuten der Beschwerdeführerin – den Widersprüchen in den sachverständigen Beurteilungen der ernstlichen Gefahr einer Selbsttötung (vgl. insbesondere Seite 15 f. des Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen vom 27. April 2013, Seite 16 f. seines Gutachtens vom 22. Februar 2011 und Seite 5 f. des Protokolls vom 14. Februar 2013 einerseits sowie Seite 7 des Gutachtens der Privatsachverständigen vom 10. Juli 2013, Seite 7 f. ihres Gutachtens vom 4. April 2011 und Seite 4, 7 des Protokolls vom 14. Februar 2013 andererseits) weiter nachzugehen und zum anderen die Situation des Gläubigers näher aufzuklären, damit so schnell wie möglich die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung getroffen werden können.