BGH zu Nichtzustellung einer gerichtlichen Entscheidung und Verwirkung eines Rechtsmittels

Da Zustellungen wegen der häufigen Vielzahl der Beteiligten im ZVG-Verfahren eine nicht unerhebliche Rolle spielen, stelle ich diese zu einer anderen Verfahrensart ergangenen Entscheidung hier ein:

Leitsatz:

Zur Frage der Verwirkung des Beschwerderechts gegen die Zurückweisung des Antrags auf Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung.

BGH, Beschluss vom 30. 11. 2010 – VI ZB 30/ 10

Im vorliegenden Fall wurde dem Antragsteller die Zurückweisung eines PKH-Antrages erst 2 1/2 Jahre nach dem Entscheidungsdatum und nur aufgrund einer Nachfrage des Antragstellers zugestellt. Der BGH entschied, dass das Verstreichenlassen einer so langen Zeit bis zu einer Nachfrage beim Gericht nicht zu einer Verwirkung des Rechtsmittels führt, zumal die Durchführung der Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen ausschliessliche Aufgabe des Gerichtes sei. Gleiches gelte für die Feststellung der Rechtskraft, was eine Überwachung des Rücklaufes der Zustellurkunden erfordere.

Aus den Gründen:

Entscheidend für die Beurteilung des vorliegenden Falles ist, dass der Antragsteller über seine Prozessbevollmächtigte erst durch die Zustellung am 30. Oktober 2009 Kenntnis vom Beschluss des Landgerichts erlangt und die Beschwerdefrist damit zu laufen begonnen hat. Schon aus diesem Grunde kann die innerhalb der Beschwerdefrist eingelegte sofortige Beschwerde, obwohl seit dem Erlass der Entscheidung 2 ½ Jahre vergangen waren, keine unzulässige Rechtsausübung darstellen. Der Antragsteller muss sich nicht so behandeln lassen, als ob ihm der Beschluss des Landgerichts vom 27. März 2007 schon längst bekannt gewesen wäre. Er war auch nicht rechtlich verpflichtet, Ermittlungen darüber anzustellen, ob bereits eine Entscheidung, die ihm hätte zugestellt werden müssen, zwischenzeitlich ergangen ist. Das Oberlandesgericht übersieht bei seiner Beurteilung, dass die Zustellung gerichtlicher Entscheidungen Aufgabe des Gerichts ist. Auch obliegt die Feststellung der Rechtskraft einer Entscheidung aufgrund Ablaufs der Rechtsmittelfrist grundsätzlich dem Gericht, weshalb dieses gehalten ist, den Rücklauf der Zustellungsnachweise – etwa des anwaltlichen Empfangsbekenntnisses – im Blick zu behalten.

Für die Frage der Verwirkung kann keine Rolle spielen, dass die Antragsgegnerin den Beschluss am 7. April 2007 erhalten hat. Dass die Antragsgegnerin mit dem Antragsteller in der Folgezeit in Kontakt getreten und diesem der ablehnende Beschluss auf diese Weise bekannt geworden wäre, ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es aber in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen braucht (RGZ 155, 148, 152; BGH, Urteil vom 27. Juni 1957 – II ZR 15/56, BGHZ 25, 47, 51 f.). Die Verwirkung kann zwar gegen den Willen des Berechtigten eintreten, da insoweit die an Treu und Glauben ausgerichtete objektive Bewertung nicht aber der subjektive Willensentschluss des Berechtigten entscheidend ist. In dieser Hinsicht kommt der rechtliche Unterschied zwischen der Verwirkung und einem stillschweigenden Verzicht zum Ausdruck (RGZ 134, 262, 270). Für die Annahme einer Verwirkung ist es jedoch des Weiteren erforderlich, dass sich der Verpflichtete mit Rücksicht auf das Verhalten des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dass dieser das ihm zustehende Recht nicht mehr geltend machen werde, und dass es gerade deshalb mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht zu vereinbaren ist, dass der Berechtigte später doch noch mit der Geltendmachung des ihm zustehenden Rechts hervortritt (RGZ 158, 100, 108).

Eine infolge Unkenntnis verspätete Geltendmachung eines Rechtsmittels kann aber bei objektiver Beurteilung nicht als ein Verstoß gegen Treu und Glauben betrachtet werden und daher auch nicht den Einwand der Verwirkung rechtfertigen.