BGH zur verspäteten Glaubhaftmachung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO

1. Zur Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments.

2. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verspäteter Glaubhaftmachung gemäß § 130d Satz 2 und 3 ZPO.

BGH, 26.01.2023, V ZB 11/22, berichtigt am 20.04.2023 (siehe auch Touissant, FD-ZVR 2023, 457652)

Zusammenfassung:

Für die Glaubhaftmachung einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände erforderlich, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muss. Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt.

Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. In seiner Verantwortung liegt es, die gesetzlichen Formerfordernisse zu beachten. Zu den Gesetzen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen und die ein Prozessbevollmächtigter daher kennen muss, zählen ohne jeden Zweifel die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr. Zu den anwaltlichen Pflichten gehörte es in diesem Zusammenhang aber auch, in Vorbereitung auf die Änderung der Rechtslage rechtzeitig vor dem 1. Januar 2022 alle Vorkehrungen für eine elektronische Übermittlung von Schriftsätzen gemäß § 130d Satz 1 ZPO zu treffen und sich mit der Nutzung eines funktionstüchtigen Übermittlungsweges vertraut zu machen.

Sofern der Prozessbevollmächtigte im Zweifel darüber gewesen sein will, ob er nicht vor der Glaubhaftmachung zunächst Ursachenforschung betreiben müsse, wäre dies ein unbeachtlicher Rechtsirrtum. Ein Rechtsanwalt muss die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Bei zweifelhafter Rechtslage muss der bevollmächtigte Anwalt den sichersten Weg gehen, was vorliegend die unverzügliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit gewesen wäre.