Merke: Erst lesen, dann datieren

Der Beweis, dass in einem Empfangsbekenntnis enthaltene Angaben unrichtig sind, ist zulässig. Er ist jedoch nach übereinstimmender Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes nur erbracht, wenn die von dem Empfangsbekenntnis ausgehende Beweiswirkung vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sind. Die bloße Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit einer Fehlangabe genügt nicht.

Dass deshalb ein Empfangsbekenntnis sorgfältig auszufüllen ist, schrieb das Bundessozialgericht in seinem Beschluss vom 16.11.2005 (Az: B 2 U 342/04 B, BeckRS 2006 40001 oder bei juris) einem Prozessbevollmächtigten ins Stammbuch:

1. Das unterschriebene und datierte Empfangsbekenntnis erbringt als öffentliche Urkunde den vollen Beweis für den Zeitpunkt der Zustellung.

2. Die Aussage des Zustellungsempfängers, er habe das ihm zugegangene Schriftstück erst zu einem späteren Zeitpunkt mit Empfangswillen entgegengenommen, reicht zum Beweis der Unrichtigkeit des im Empfangsbekenntnis bescheinigten Zustellungsdatums nicht aus.

Der Anwalt des Beschwerdeführers hatte vorgetragen, seine Kanzleiangestellte habe auf dem von ihm blanko (!) unterschriebene Empfangsbekenntnis fälschlich das Datum des Urteilseinganges und nicht den ersten Tag der Sachbearbeitung eingetragen. Tatsächlich zur Kenntnis genommen habe er das Urteil erst zwei Tage später.

Das BSG stellt dazu fest, dass die für die Bestimmung des Zustellungszeitpunkts notwendige Willensentschließung des Zustellungsempfängers nicht an bestimmte äußere Merkmale oder Vorgänge, etwa die Entgegennahme des Schriftstücks, seine erstmalige Lektüre, die Eintragung von Fristen oder den Beginn der Sachbearbeitung, geknüpft sei. Sie erfordere nicht einmal, dass der Betreffende sich mit dem Schriftstück überhaupt befasst, es angesehen oder sich Gedanken über seinen Inhalt gemacht hat. Deshalb sei es unerheblich, dass der Bevollmächtigte nach eigener Aussage die Eingangspost nach seiner Rückkehr von dem auswärtigen Termin am Nachmittag des Eingangstages nicht mehr durchgesehen habe. Denn das schließe nicht aus, dass er die an diesem Tag in der Kanzlei eingegangene Post gleichwohl auch ungelesen als zugestellt behandelt wissen wollte.

Der Zeitpunkt der erforderlichen Willensentschließung, soweit er sich nicht nach außen manifestiere, sei für einen Außenstehenden nicht feststellbar. Deshalb könne eine spätere Behauptung, das Zustelldatum auf dem Empfangsbekenntnis stimme nicht, den Beweis der Unrichtigkeit des Empfangsbekenntnisses allein nicht erschüttern.

Gerade weil eine unrichtige Datierung des Empfangsbekenntnisses wegen der Abhängigkeit des Zustellungszeitpunkts von einem inneren Willensentschluss des Zustellungsempfängers nur selten zu beweisen sei, erfordere dies eine besondere Sorgfalt bei der Ausfüllung des Empfangsbekenntnisses. Der Rechtsanwalt könne das Fehlerrisiko dadurch verringern, dass er das Datum auf dem Vordruck zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt selbst eintrage.

Wer dagegen das Empfangsbekenntnis blanko unterschreibe und die Datierung seinem Büropersonal überlasse, müsse sich den nicht möglichen Nachweis eines abweichenden Zustellungszeitpunktes zurechnen lassen.

Vermeidbares Ergebnis dieser Nachlässigkeit: Berufung verworfen, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, Wiedereinsetzung nicht gewährt.