Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Unterlassung einer begehrten mündlichen Anhörung des Sachverständigen

BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 24. August 2015 – 2 BvR 2915/14 (juris)

Zur Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Unterlassen der begehrten mündlichen Anhörung des Sachverständigen, dessen Gutachten dem Gericht überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint.

Aus den Gründen (Rn. 17-19):

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfGK 20, 218 ; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 – 1 BvR 909/94 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 – 1 BvR 2728/10 -, a.a.O., Rn. 13).

(1) Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. BGHZ 6, 398 ; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986 – VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 und vom 17. Dezember 1996 – VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 f.). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. BGHZ 35, 370 ; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.; vgl. auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2273 f.).

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 ; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 15). In Betracht kommt etwa, den Sachverständigen stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachten zu bitten oder aber ein weiteres Gutachten (eines anderen Sachverständigen) einzuholen (vgl. BVerfGK 20, 319 ; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 – VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).